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Eröffnung der Ausstellung von Winfried Wolk In Beeskow 3/9/11
Wenn einer gedankliche Werte mit künstlerischer Sinnbildlichkeit verbindet, muss daraus nicht automatisch politische Kunst entstehen. Wenn ihm aber, wie im Werk Winfried Wolks ablesbar, die Versinnbildlichung gesellschaftlicher Zustände aus der Perspektive des Parteiergreifenden gelingt, verweist dies nicht nur auf einen unruhigen Geist, sondern auf einen engagierten Künstler, der in der Auseinandersetzung mit der realen Umwelt ganz und gar nicht zimperlich zu Werke geht. Vielmehr setzt er auf ihre kritische Ausdeutung sowie die Einbindung des eigenen Bewusstseins von sozialer Wirklichkeit. In diesem Spannungsfeld entstehen Wolks zeit- und welthaltige Kunstwerke, die durch ihr von Innen nach Außen drängendes Kräfteverhältnis zum Bild werden. An der Schnittstelle von persönlichem und sozialem Raum operierend, konzentriert Winfried Wolk sich darauf, radikale Aussagen und Kommentare zu gesellschaftlichen Zuständen mit Erzählkraft und technischer Perfektion in einem komplexen Bildsystem zusammen zu führen. In dieses System bezieht er historische, kulturelle, literarische und mythologische Quellen ein, aus denen er seine mehrdeutigen Botschaften entwickelt. Vom Lob der Torheit des Erasmus von Rotterdam über Sebastian Brants Narrenschiff, von den weisen Narren Shakespear´scher Prägung bis zur blasphemischen Umdeutung der Heiligen Drei Könige reichen die bildnerischen Anverwandlungen, die er gleichnishaft inszeniert.
Diese zumeist hintergründigigen, zuweilen burlesk humoristisch erscheinenden, künstlerisch sensiblen und geistreich nuancierten Mutationen verbinden sich mit ironischer Satire auf gesellschaftliche Zustände zu sinnerhellenden Verknüpfungen, die den alltäglichen Wahnsinn im Zerrspiegel vorführen. Gerade durch die ironische Absetzung von der Realität des Alltags, der oft genug schon selbst Satire ist, verweisen die Figurationen beziehungs- und anspielungsreich in politische und gesellschaftliche Bereiche. Man könnte auch sagen, Winfried Wolk beschwört die alte und immer wieder neue Symbiose von Bildkunst und Gesellschaftspolitik, in dem er die gesellschaftskritischen Problemhorizonte dauerhaft mit der subjektiven Ebene der Selbstbefragung verbindet. Hinzu kommt eine Dramatisierung des Individuellen wie des Gesellschaftlichen, das er mit Vorliebe surreal pointiert. Hierin gleicht er den großen Grafikern des 19. Jahrhunderts Daumier und Hogarth. Wie jene begehrt er gegen konkrete gesellschaftspolitische Zustände auf und geißelt dabei nicht minder menschliche Versuchung, Verfehlung und Torheit in allen Schattierungen. Wolks Stil gründet sich auf den schwarz-weiß Gegensätzen, mit denen er das Wesentliche in der Komposition markiert und auf einer malerisch lockeren Auffassung. Die Bildflächen sind reich inszeniert und koloriert und dank der Fülle von Formen und Farben von übersteigertem Ausdrucksgehalt. Kunsthistorisch betrachtet, verweisen seine geschliffenen Statements zur Lage der Nation zurück auf die existenzialistische Malerei der 1920er Jahre, auf Beckmann, Grosz und Dix. Er nutzt die ausdrucksbetonte Bildsprache, einen bewegten malerischen Stil und rhythmisierte Gruppendarstellungen sowie eine bis an die Grenze der Deformation gehende Darstellung. Und während die Einen in seinen Bildern eine poetische Kunst im Sinne des Sozialkritischen zu erkennen meinen, entdecken andere eine kafkaeske Welt, in der sich die Absurditäten des Daseins zu metaphorischer Dichte steigern. Spätestens hier grüßt auch der Flame James Ensor, der, nicht nur mit dem „Einzug Christi in Brüssel“ die Welt als große Karnevalsfarce und diese als Sinnbild menschlicher Gemeinheit und Blödheit brandmarkte. Es wäre aber nicht Winfried Wolk, ginge es im Spiel mit dem Faktischen nur um die Umdeutung des Vorgegebenen oder dessen Steigerung zu paradoxen Vorstellungsgehalten. Im Miteinander von brisanten Themen und grafischem Können, von Grauen und Komik verbreiten gerade die Damen und Herren aus Narragonien mit ihren maskenhafte Zügen nicht nur Unbehagen, sondern provozieren Aufruhr durch tiefe Einblicke. Aus verhängnisvollen Beziehungsgeflechten kommend, verkörpern sie Machthunger und Dummheit, Gier und Intoleranz, was den Künstler über drei Jahrzehnte zu obsessiver Auseinandersetzung mit den großen und kleinen Themen der Menschheit angetrieben hat. Auch wenn er die Ausdrucksformen bis ins Extrem steigert, lassen sich in der Vermischung anziehender wie abstoßender Aspekte und hinter der bisweilen spukhaften Phantastik einstige und jetzige Größen und Gernegroße erkennen, die eine zusätzliche Sinnebene eröffnen. Dadurch zwingt Wolk den Betrachter zu verschiedenen Sinnes- und Denkoperationen, zumal dieser auf mehreren Ebenen angesprochen wird, sich dem an Widersprüchen reichen Kräftespiel sattsam bekannter Realitäten zu stellen. Kommen wir zu Wolks Menschenbild. Den persönlichen Groll gegen vergangene oder gegenwärtige missliebige Zeiterscheinungen abreagierend, insistiert er in seinen Menschenbildern ohnehin nicht auf das rein Künstlerische, wie auch sein Interesse weniger dem Alltäglichen als den Grenzbereichen menschlichen Daseins gilt. Über die Jahre hat er mit erbarmungslosem Blick registriert, beobachtet, Eitelkeit entlarvt und innere Leere seiner Zeitgenossen sowie kritische Distanz zur Umwelt überhaupt mit einer so aufwühlenden Kraft thematisiert, die in der expressiven Bildsprache gleichberechtigten grafischen wie malerischen Ausdruck findet. Dass er dabei nicht nur malerische Sinnlichkeit und eng mit dem Thema verbundene gestische Energie einsetzt, sondern zur bitteren Satire greift, hängt von seinem unbedingten Willen zur Wahrheit ab, der gepaart ist mit einem offensiven Mitteilungsdrang. Darum haftet den Figuren, fern von allem Aktionistischem, etwas Skizzenhaftes, rasch Erfasstes und doch Reflektiertes an, was sich in einem überschärften Realismus manifestiert. Chiffren gleichend, erhalten Bewegungen und Gesten symbolhaften Charakter, werden zu Symbolen menschlichen Daseins zwischen Verzweiflung und Hoffnung, mit denen er den inneren Aufruhr seiner Zeit zur Sprache bringt. Schließlich muss alles raus, was an Formvorstellungen in ihm ist. Gemalt, gezeichnet und gedruckt von einem, der das Leben leidenschaftlich liebt und seine Verantwortung durch substantielle Äußerungen, durch rationale Überzeugungskraft und emotionale Intensität wahrnimmt. Was sich zwischen der Entschlüsselung der vom politischen Spektrum beeinflussten Themen und dem Gefühlshaushalt des Betrachters manifestiert, ist - nicht mehr aber auch nicht weniger - ein Appell an unser soziales Gewissen. Hierfür hat Winfried Wolk stes ein ganzes Arsenal narrativer und kommunikativer Elemente und Beziehungen aufgeboten. Ein Arsenal, das für weitere Jahrzehnte Stoff böte, Kunst als Störfaktor und zum Erkenntnisgewinn zu betreiben. Als er, mit der Hypothek der 1980er Jahre im Rücken, zu Beginn der 1990er Jahre den Start auf den Kunstmarkt realisiert, geht damit auch der Wechsel zu den elektronischen Medien einher. Screen-Art Composition - unter diesem neudeutschen Begriff lässt Winfried Wolk im digitalen Zeitalter flache Großbildschirme zu Kunstwerken werden. Man kann das mit Blick auf die Beeskower Ausstellung bedauern und sich fragen, warum tut er das? Das aber, meine Damen und Herren, ist ein anderes Thema. Herbert Schirmer, Laudatio zur Eröffnung der Ausstellung „Narragonien und Niemandsland“ von Winfried Wolk in der Burg Beeskow am 3. September 2011 |