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Hans-Georg Wagner.. Austellung ab Juni 2013 in der Burg Beeskow
Angefangen hat alles mit Axt und Beil. Mit diesen Spaltwerkzeugen gewann der Mensch die Herrschaft über das Holz. Es dürfte ungefähr 7000 Jahre her sein, als die Steinbeile in stramme Eichen krachten und dabei zunächst Kerben hinterließen. Seitdem gilt der Einschlag mit dem Beil oder der Axt als erstes plastisches Element, als der Ursprung alles Plastischen auf einer Fläche. Schließlich legt die Kerbe nicht nur das innere Gefüge des Holzes frei und verschmilzt mit ihm zur Synthese aus Natur und menschlichem Tun, sie führt darüber hinaus zur Gliederung der Massen, zu Bewegung und Ruhe. Mit diesem nachgerade lehrbuchhaft klingenden Text im Hinterkopf wollen wir uns so unvoreingenommen wie möglich den Kunstobjekten von Hans Georg Wagner nähern. Dessen Spaltwerkzeuge bestehen freilich nicht mehr aus Stein oder Bronze, ansonsten trifft das bisher Gesagte uneingeschränkt zu. Denn so, wie sich die meisten der kompakten Holzskulpturen aus den sichtbaren Gegebenheiten des Naturstoffes ableiten oder von ihnen inspiriert sind, bestimmen die spezifischen haptischen Qualitäten des gewachsenen Materials den Charakter der Kunstobjekte wesentlich mit. Im Prozess der Bearbeitung geht es weniger um mechanische Bezwingung, als um eine behutsame Freisetzung der Kräfte und Strukturen, eine Umformung als subtile Interpretation der Wachstumsspannen, die Hans Georg Wagner als Spuren der Zeit aus den Schnittflächen schrittweise hervorholt. Dabei kommt in den monolithen, behauenen Naturform des Stammes, der konstruktiven Dimension und den die Oberfläche markierenden Spuren der nachschaffenden Hände, eine tief empfundene, existenzielle Kraft zum Ausdruck, die als eine Art beseelter Materie zum Bestandteil der bildnerischen Metaphern wird.
Im ebenso spannungsreichen wie einfühlsamen Dialog mit dem Holz, in dem nicht geglättete Kerben, Schwarten, Risse, Spalten und Durchbrüche als verletzende Eingriffe und narbenartige Spuren stehen bleiben, werden zwischenmenschliche Interaktionen, gestörte Kommunikation und fragwürdige Verhaltensweisen auf kürzestem Wege zu Bildthemen. III So, wie das behutsame Eindringen in das Wesenhafte des naturgewachsenen Materials als Voraussetzung seines Tuns gilt, geht es im Weiteren schon auch um eine Übereinstimmung der stofflichen Eigenart des Holzes mit der vom Bildhauer avisierten Form- und Ausdrucksgestaltung. Und weil er sich mit unser aller Daseinsproblemen herumschlägt und sich dabei volle Energie und Kraft abverlangt, weil er seine moralische Existenz untrennbar mit dem Schaffensprozess verbindet, hat Hans Georg Wagner schon früh entschieden, seine plastisches Wirken an Inhalte zu binden. Es genügt ihm nicht, der reinen Abstraktion anzuhängen und seine Schöpfungen mehr oder weniger zur Zierde des öffentlichen Raumes herzustellen. Darum streitet er auch mit allen seinen Werken gegen die These an, dass der Künstler als Protagonist gesamtgesellschaftlicher Sinnverheißung ausgedient haben soll. Darum hat er, dessen Skulpturen, Reliefs oder Holzschnitte eben nicht zum stilistischen Repertoire ständig wechselnder oder marktorientierter Kunstströmungen zählen, in aller Stille und Kontinuität einen ganz eigenen Skulpturenstil entwickelt, der weitestgehend von der Deutung der menschlichen Figur, mehr noch von humanem Verhalten schlechthin bestimmt wird, bei dem eine architektonische Ordnung den Ton angibt und der Torso als Essenz von Körperlichkeit erscheint. Fragmentierte Gestalten, die sich ziemlich weit von der menschlichen Anatomie entfernen, die aber in ihren Proportionen und ihrer expressiven Gestik elementare Haltungen und Befindlichkeiten des Individuums umschreiben. Trotzdem erleben wir in dieser Ausstellung die torsierten Skulpturen nicht nur als Träger ganz bestimmter Zustände, sondern als eine kommunikative Gruppe, in der jede einzelne Figur Teil einer vitalen Diskursgemeinschaft ist, die aufs große Ganze zielt. Jede einzelne steckt voller inhaltsreicher, gleichwohl nicht ausformulierter Formanspielungen und Formabkürzungen, wobei die blockhafte Strenge durch die grafische Behandlung der Oberfläche belebt wird. Gerade weil sich der Eindruck von massiver Dichte und sich öffnender Verletzbarkeit steigert, entfalten die Objektfiguren ein plastisches Eigenleben, das in engem Verhältnis zu existenziellen, psychologischen oder auch politischen Klärungsprozessen steht. Als vertikal gestellte oder horizontal gelagerte räumliche Zeichen materialisieren sie Wahrnehmungsverschiebungen, Gewalt und Verletzungen, aber auch Illusionen und Irrtümer menschlichen Bewirkenwollens, was sie nicht zuletzt zu Sinnbildern von Lebens- und Weltbefragung macht. Diesen Beziehungskomplex versteht der reflektiert zu Werk gehende Hans Georg Wagner nicht als erzählende Figuration, sondern als Chiffre für menschliche Situationen und Befindlichkeiten, was ihn zwangsläufig zurück zu den figürlichen Archetypen führt - jenen prähistorischen Kulturfiguren, die von einer archaischen Aura umgeben sind. Sie verkörpern Jahrtausende alte Geheimnisse und den Zauber des Lebens bis auf den heutigen Tag und lassen menschliche Grundhaltungen ebenso sichtbar werden wie individuelle Abweichungen hiervon, Abweichungen, die nicht zuletzt mit der Betonung des Asymmetrischen Gestaltung erfahren. . Im Gegensatz zu den kompakt-gegliederten Skulpturen und Reliefs wirken die in der Dreieinigkeit von Figur, Farbe und Licht geprägten Holzschnitte als immaterielles Bildgefüge von schwebender Leichtigkeit. Aber auch sie leben von den Spannungszuständen zwischen Abstraktion und Neusetzung des Figürlichen, das in der Fläche als radikal reduzierte Komponente erscheint. Die schroffe Präzision und Sicherheit der Zeichnung, intensiv konturiert und mit vitaler Binnenstruktur gefüllt, erstrahlen geradezu und wohl ohne hintergründige Gedankenspiele in der Kombination Schwarz-Rot-Gelb. Die auf Japanpapier verriebenen Wasserfarben erzeugen ein dem Holzschnitt gemäßes, schroffes und spannungsvolles Geflecht von Farblinien und Farbpartikeln, wobei jedes Kürzel seine eigene, farbunterstützte Energie entwickelt, die sich in jeder Richtung über den materiellen Träger hinaus entlädt. Höchste Zeit, darauf zu verweisen, dass Hans Georg Wagner in den halbtransparenten Menschenbildern seinen Humor aufscheinen lässt, wenn er den Brückenschlag zwischen ausgefallenen Vorkommnissen wie Damenwahl, Pas de Deux und Totentanz persifliert. Meine Damen und Herren, es ist beileibe keine neue Erkenntnis, dass die Wirkung eines Kunstwerkes immer auch das Ergebnis einer Wechselwirkung zum Betrachter ist, wobei sein Wissen, ihre Lebenserfahrung, unsere augenblickliche Seelenlage und die Zeit in der wir leben, von Bedeutung sind. Und wir wissen nicht erst aus der Kunstgeschichte, dass der Mensch nicht lange ohne ein Bild seiner selbst auskommen kann, dass er sich in Beziehung zu seiner Lebenswelt setzen muss. Hinsichtlich des Mangels an Kommunikation sowie den vielen anderen Gesellschaftsspielen unserer Gegenwart ist es beruhigend und provozierend zugleich, dass ein Künstler alles, was ihn schockiert und bewegt, in den Zusammenhang von Kunst, Zeit und Gesellschaft stellt, dass er als Zeitzeuge in unserer krisengeschüttelten Welt mit ihren düsteren Zukunftsaussichten bereit ist, Überlebensmuster aufzuzeigen. Lieberose, 1. Juni 2013 Herbert Schirmer Laudatio zur Eröffnung in Burg Beeskow |