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...langsam wächst das dürre Gras Vergessen
Ausstellung Wieland Förster & Heinrich von Kleist
8. Juli bis 16. September 2018 im Kleist-Museum Frankfurt (Oder)
Die Ausstellung „rasch wächst das dürre Gras Vergessen″ ist dem fiktiven Dialog zwischen dem Bildhauer Wieland Förster und dem Dichter Heinrich von Kleist gewidmet. Zehn Jahre seines Lebens fühlte sich Wieland Förster, der, wie er heute augenzwinkernd anmerkt, das Zeug zum Rebellen in sich trug, von der Radikalität und dem Rigorismus Kleists angezogen. Nicht von ungefähr sieht er sich in der Figur des Michael Kohlhaas trefflich geschildert.
Mit ihrer Unfähigkeit, sich den politischen, gesellschaftlichen und ästhetischen Normen ihrer Zeit unterzuordnen, gehören sowohl Kleist als auch Förster zu potentiellen Widerspruchsgeistern, deren Außenseitertum sich in ihrem Dasein und Künstlertum manifestiert. Vor allem sind es die von Krisensituationen und Kriegen hervorgerufenen Gewalt- und Leiderfahrungen, die als Ausdrucksmöglichkeit innerer Vorgänge sowohl von Kleist als auch von Wieland Förster eindringlich gestaltet wurden. Dabei agieren beide Männer im Spannungsbereich existentieller Erfahrungen, umfassen die ganze Spannweite zwischen Leid, Martyrium, Schmerz, Liebe, Eros und Chaos, Entsetzen und Schönheit und Gewalt. Bei Kleist potenziert sich die physische Gewalt in Form von exzessiven Darstellungen, bei Förster in Gestalt von Trauernden, von Opfern und Ohnmächtigen. Während sich im Werk des Dichters die Krisenerfahrungen des neuzeitlichen Subjekts um 1800 spiegeln, sind es bei Förster traumatische Erlebnisse wie die Zerstörung Dresdens im Februar 1945 oder die bald darauf folgende willkürliche Internierung im „Speziallager“ Bautzen, die dauerhaft Spuren im Werk hinterlassen haben. Trotz wiederholter Erfahrungen mit Machtmissbrauch, Demütigung und individuell erlittener Traumata ist Wieland Förster zu keinem Zeitpunkt seines Lebens zum Rächer geworden. Vielmehr versuchte er über Jahre die wechselvollen Erfahrungen als Künstler im repressiven System der DDR sowohl im plastischen wie auch im literarischen Werk zu verarbeiten, sie als konstruktive Kritik öffentlich kundzutun und den Glauben an einen universellen Humanismus aufrecht zu erhalten. Nahe sind sich Förster und Kleist auch im Rückgriff auf die Welt der antiken Mythen. Beide sind fasziniert vom ursprünglichen Widerstand des Apollinischen gegen die ursprüngliche Gewalt des Dionysischen. Das den Erzählungen des klassischen Altertums innewohnende mythische Potential erfährt dabei eine Transformierung der zeitlich zurückliegenden Ereignisse, die gleichnishaft auf die jeweilige Gegenwart anverwandelt und damit vor dem Ansturm des Vergessens bewahrt werden soll. Apropos Vergessen! Mit dem Ausstellungs-Titel "Rasch wächst das dürre Gras Vergessen" wird, leicht abgewandelt, eine Zeile aus dem Gedicht zitiert, das der Lyriker Erich Arendt dem bedeutenden tschechischen Dichter František Halas gewidmet hat, der in seinem von Skepsis und Desillusion geprägten literarischen Werk den Geheimnissen und dem Sinn der menschlichen Existenz nachspürte. Wie Arendt, der ihm den Weg in die griechische Antike wies, will auch sein knapp 30 Jahre jüngerer Verehrer Wieland Förster solche Wechselwirkungen zwischen gestern und heute, zwischen Individuum und Gesellschaft, in einer eigenen Sprache formulieren. Nimmt man zu Erich Arendt die freundschaftliche Verbindung Försters zu Peter Huchel und Franz Fühmann sowie die Fernbeziehung zu Kleist hinzu, kann durchaus von einem lyrischen Schulterschluss oder einer zeitlich begrenzten Wahlverwandtschaft gesprochen werden.
Bei soviel Übereinstimmung muss auch noch ein Unterschied her. Mit dem Anspruch des Moralisten, der auf seine Mitwelt wirken will, mobilisierte Kleist seinen poetischen wie patriotischen Kampfgeist, der bisweilen formelhaft propagandistische Züge annimmt. "In Staub mit allen Feinden Brandenburgs" lautet der Appell im Preußen-Drama "Prinz von Homburg". "Schlagt ihn tot – das Weltgericht / fragt euch nach den Gründen nicht", mit dieser Aufforderung verschafft er in der Germania-Ode seinem Hass gegen Napoleon und die französischen Besatzer Ausdruck. Noch mehr gewaltgeladene Enthemmung zelebriert Kleist in der von kämpferischen Pathos und kriegerischer Rhetorik erfüllten Hermannsschlacht. Dagegen kommt in Wieland Försters Kunstwerken und literarisch gestalteten Lebenszeugnissen eine Wirklichkeit zur Geltung, die bei aller gemachten Grenzerfahrung für das Leben, nicht für den Tod steht. Im Unterschied zu Kleist schuf der bis 2007 bildhauerisch tätige Förster ein Werk, das sich zu keinem Zeitpunkt politisch vereinnahmen ließ. Politische Parabeln auf das agonale System der DDR zu schaffen, war für ihn, der seit den 1960er Jahren kontinuierlich und Epoche übergreifend das problematische Verhältnis von Individuum und Gesellschaft reflektiert, keine Option. Vielmehr schuf er im beständigen Streben nach universeller Wirkung Zeichnungen und Skulpturen, in denen die Konkretheit des Seins zu einem Phänomen wurde, dass alle Zeiten in sich vereint und das - wie das Werk Kleists - als zeitlose Botschaft in unsere Gegenwart reicht.
Herbert Schirmer, Rede zur Eröffnung der Ausstellung, 7. Juli 2018, im Kleist-Museum, Frankfurt (Oder)
 
 
 
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