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MONA HÖKE. Innen sind Deine Augen Fenster... Ausstellung
Dass Mona Hökes künstlerische Sprache eine unbeirrbare Eigenständigkeit, eine persönliche Position im Kunstgeschehen der Gegenwart aufweist, wurde mir nicht erst vor drei Tagen beim Rundgang durch diese Ausstellung klar. Und trotzdem war es beglückend, zu entdecken, was im Zusammenspiel von reflektierter Innerlichkeit und einem ungestümen malerischen Temperament, im Miteinander von hohem Raffinement und sparsamer Simplizität zuletzt auf Leinwand und Papier gekommen ist. Bestätigt zu sehen, dass bildnerische Ordnung und Expressivität der Gestik sich mit einem vitalen Verlangen nach kultivierter malerischer Brillanz verbinden, in der spürbare Begabung für flächendeckenden Rhythmus aus Farben, Linien und grafischer Aktion zum offenen Gestaltungsprinzip erhoben wird. Dieses Prinzip äußert sich in vehementen, schwarzen Pinselzügen, die im spannungsvollen Geflecht mit anderen Farbformen und grafischen Linien als wesentliche Zeichen und stabile Bildgerüste hervortreten. Angedeutete Figuren und flächige Formen werden zu zeichenhaften oder geometrischen Elementen reduziert, wobei sie keinem dieser bildnerischen Elemente eine dominierende Funktion zugesteht. Gewissermaßen aus dem Innersten schöpfend, hat Mona Höke ein Formenrepertoire entwickelt, dass als Reaktionen intuitiver Vorgänge und als visuelles Äquivalent für ihre geistigen Empfindungen in Form und Farbe auf Leinwand gelangt. Und weil sie dem schöpferischen Drang folgend, nicht erst den Widerstand der grundierten Leinwand überwinden möchte, arbeitet sie gern und häufig auf Papier, auf dem Direktheit, Spontaneität und Intuition schneller zum Tragen kommen.
Die Initialzündung der bis dahin eher als kunstfern geltenden Mona Höke erfolgt zu Beginn der 1990er Jahre während eines Ausstellungsbesuches in Frankfurt am Main. Vor den Bildern von Emil Schumacher, der sie mit seiner kraftvollen und ausdrucksbetonten Malerei, in der die Verbindung farbiger Malgründe mit expressiven Gestik sie nachhaltig beeindruckt, kommt es zu einer folgenreichen Initialzündung. Kaum zurückgekehrt, beginnt sie unter den korrigierenden Händen von Hans Scheuerecker ihre eigene phantastische Vorstellungswelt in Bilder umzusetzen, zumal neben Scheuerecker Einfluss mit dem deutschen Informel noch eine zweite Quelle der Inspiration sprudelt. Auch wenn sich mit Visueller Poesie, abstraktem Expressionismus oder Informel in der Anfangsphase kunsthistorische Quellen wahlverwandtschaftlich anbieten, so scheint mir mehr noch die Verbindung zu Cy Twombly und dessen gestisch ausschweifenden, von kleinen figurativen Skizzen, Ziffern, Wörtern und Zitaten durchsetzte Kompositionen, nahe liegend. Ihm darin nicht unähnlich, befindet Mona Höke sich im ständigen Widerstreit zwischen expressiver Vehemenz und kompositioneller Balance. Sie deckt Beziehungen zwischen geometrischer Ordnung und chaotischen Farbknäulen, zwischen Figuration und Abstraktion, zwischen Malerei und Literatur auf, um fortwährend Grenzüberschreitungen zum gegenseitigem Vorteil und eigener Horizonterweiterung zu organisieren.
Dennoch und um der Selbstbehauptung Genüge zu tun, hat sie in der Folge den Anregern Valet zu gesagt. Stärker als bisher betont sie fortan die Bildmaterialität, das grafisch-Zeichenhafte, die Farbe, den kompositorischen Rhythmus und das Aktionistische des Farbauftrages, mit dem sie bemalte Flächen in sinnlich leuchtende Objekte verwandelt. Sie beginnt damit, Öl- und Acrylfarben, Bleistift, Feder, Kohle, Gouache und Aquarellfarben zu mischen, und da, wo der Auftrag zu dick geraten, wird schon mal gekratzt, weggeschabt oder eine Linie in die Farbmasse geritzt.
Immer mehr wird Schrift als typografisches oder kalligrafisches Ereignis zum dominierenden Element in Mona Hökes malerischem Werk. In den von alltäglichen und poetischen Zitaten durchsetzten Kompositionen verbindet sich ein hoher ästhetischer Zauber mit einer aus der Literatur herrührenden Spiritualität, wobei das Geistige in seiner Dimension vor allem von der sinnlichen Dramatik der Farben, aber auch von ihrer Transparenz und Fluidität herrührt. Entstanden ist ein differenziertes Zeichensystem, in dem einerseits Niederschriften als lyrische Passagen nachzulesen sind und anderseits losgelöst von literarischen Vorlagen und semantischer Bedeutung, menschliche Grunderfahrungen in grafisch-zeichenhaften Schriftzüge oder einzelnen, piktogrammartig reduzierten Buchstaben Gestalt annehmen. Inzwischen hat Mona Höke – und hier weiche ich ganz bewusst von der in der LAUSITZER RUNDSCHAU von heute (8. Juni 2013) veröffentlichten Meinung ab - sich in ihrer malerischen Praxis soweit von ihrem Mentor Scheuerecker emanzipiert, dass nur noch Referenzen an die einstige Inspirationsquelle erinnern. Zu stark und zu wichtig ist ihr Hang zu uneingeschränkter Freiheit und schöpferischer Autonomie, zu ausgeprägt ihr eigensinniger und zielstrebiger, von Selbstzweifeln durchsetzter Charakter, als dass sie auf lange Sicht im Schatten des Malerkollegen und Freundes agieren mochte. Denn beim fortgesetzten Versuch, Dichtung, Malerei und Leben in Einklang zu bringen, mobilisiert Mona Höke ihr poetisches Verständnis von Kunst ebenso wie sie die Visualisierung ihrer Gefühlswelt vorantreibt. Auch das wird m. E. mit der von Mona und Sven Krüger getroffenen Auswahl der Bilder hier im Rathaus deutlich.
Meine Damen und Herren, bei alledem Genannten ist Mona Höke kein kommunikatives Genie und schon gar keine wortgewaltige Selbstdarstellerin. Sie ist eher bedächtig, nachdenklich, reflektierend, vorsichtig, fast scheu im Umgang. Wen wundert es da, dass die Literatur als „stille Nachbar-Kunst“ und als Impulsgeber von ihr bevorzugt wird. Dabei ist sie weder allgemein auf Literatur fixiert, noch lädt sie zu einem bildungsbeflissenen Streifzug durch die Literaturgeschichte ein. Sie hält es mehr mit den Außenseitern, zu deren Werk sie eine deutliche Affinität entwickelt hat, deren Codes sie in ihren sensiblen und grafisch wie malerisch anmutenden Verbindungen von Bild und Text entdeckt und freilegt. Unter dem unmittelbaren Eindruck literarischer Inspiration zitiert sie einerseits Verse von Lyrikerinnen wie Ingeborg Bachmann oder Elke Erb und greift anderseits subjektive Mythologeme auf, die sie im Sinne des Autobiografischen verarbeitet. Sehr wahrscheinlich rührt die Verarbeitung literarischer Vorlagen, bei der das Subjektive eine Struktur erhält, aus ideeller Übereinstimmung mit den bevorzugten Autoren, möglicherweise erfüllt sie aber auch eine Schutzfunktion, um die eigene Gefühlswelt nicht vor aller Augen bloßzustellen. Von da bis zu Ingeborg Bachmann sind es dann nur ein paar Schritte. Bachmann, die Selbstzweiflerin, deren Gedichtzeile „Innen sind Deine Augen Fenster“ der Ausstellung den Titel gab, deren trotzige Auflehnung und ein lebenslanges Hadern mit sich selbst in allen ihren Texten zu spüren ist, suchte zeitlebens nach Worten, um gegen Unbegreifbares und die Umgereimtheiten des Alltags anzuschreiben. In ihrer nachdenklichen, heimliche Tiefen auslotenden Gründlichkeit weicht auch Mona Höke der Auseinandersetzung mit gelebter Wirklichkeit nicht aus. Immer wieder neu thematisiert sie den Streit des Guten, Wahren und Schönen gegen die dunklen, unkontrollierbaren Seiten des menschlich Unbewussten. So erscheinen neben lesbaren Textzitaten geheimnisvolle Chiffren, die nicht zu deuten, gleichwohl von Bedeutung sind, weil ihre verschlüsselten Botschaften als Rätsel nicht gelöst, sondern gemalt wurden. Wer sich also partout auf die Suche nach einer Geschichte, einer Bedeutung hinter den Andeutungen, den Spuren und Fragmenten begeben will, verläuft sich leicht in einem Labyrinth, in dem sich Erinnerung, Wissen, Mythen und Erfahrungen wie in einem Kaleidoskop zu immer neuen Andeutungen und Mutmaßungen ohne feste Zuordnung verdichten. Aber er oder sie befinden sich auf einem guten Weg zur Mobilisierung aller Sinne und zur Schärfung vielschichtiger und unterschiedlicher Wahrnehmungsmöglichkeiten.

Herbert Schirmer, Lieberose/Cottbus, 8. Juni 2013, Laudatio zur Eröffnung von Mona Hökes Ausstellung in der Rathaus-Galerie Cottbus
 
 
 
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